AMG - A Mords Gschoss könnte man meinen, wenn man sich die Leistungsdaten der jeweils stärksten Mercedes Modelle anschaut. Ob die drei Buchstaben neben ihrer ursprünglichen Bedeutung (Auftrecht Melcher Gossaspach, benannt nach den Gründern Hans Werner Aufrecht und Erhart Melcher sowie Gossaspach, dem Geburtsort von Aufrecht) auch für die oben genannte Abkürzung verwendet werden können, wollte ich heute Nachmittag anlässlich der AMG Performance Tour 2014 testen.
Eins vorweg, ich hege eine gewisse Liebe zu Mercedes-AMG Modellen, war
doch das aller erste Auto an dem ich den Zündschlüssel drehen durfte ein
6-Liter-AMG-V8 und mein erstes 250+ km/h Erlebnis hatte ich ebenfalls in einem AMG. Sollte also der heutige Bericht etwas zu frenetisch sein, wisst ihr jetzt woher das kommt.
Zum Mittagessen in der Garage Gut in Maienfeld eingeladen, las ich erst einmal die kulinarische und anschliessend die automobile Speisekarte. Salat, Tomaten und Mozzarella, Kartoffelstock, Ravioli, sowie bei Niedertemperatur gegarter Kalbsbraten, Panna Cotta und Schokoladenmousse stärkten uns um anschliessend die 360 bis 585 PS starken AMGs durch die Bündner Berge zu jagen.
Das Leistungsspektrum beginnt bei den 2.0-Liter 4-Zylinder Turbomotoren im A 45 und GLA 45 AMG mit 360 PS und 450 Nm Drehmoment. Diese Werte machen ihn zum weltweit stärksten Serien Vierzylindermotor.
Eine Leistungsstufe höher liegt der C 63 AMG, der einzige Sauger im Feld. In der finalen, hier getesteten Version leistet der knapp 6.3-Liter grosse V8 507 PS und 610 Nm Drehmoment.
Die übrigen Modelle die auch die 63 in der Modellbezeichnung tragen (was übrigens bei allen Modellen eine Anlehnung an den legendären 300 SEL 6.3 von 1968 ist, dem ersten von AMG getunten Mercedes), sind allesamt 5.5-Liter-V8 mit Turboaufladung welche zwischen 544 und 585 PS leisten. Diese Modelle verpackt in die Kleider eines CLS, SL, E, ML, S, G und nicht zuletzt ins brandneue S 63 AMG Coupé sollten die Leistungs- und Drehmomentspitze des heutigen Tages markieren.
Also nichts wie los, einen der acht Schlüssel ziehen (der CLS 63 und der A 45 waren Instruktorenfahrzeuge), und die Motoren starten. Der Wettergott mein es gut mit mir, und ich darf bei (noch) strahlendem Sonnenschein die AMG Performance Tour im SL 63 AMG beginnen.
Platz nehmen im knapp 230'000 Franken teuren Zweisitzer und auf der Stecke zur Schweizer Schnellstrasse (Autobahn) kurz warmfahren um bei der Einfahrt Maienfeld in Richtung Chur den Druck von 900 Nm (wir fahren die Version mit AMG Performance Package) zu spüren. Da diese Kraft bereits bei knapp über 2'000 Umdrehungen pro Minute anliegt, kann schnell hochgeschaltet werden. Das muss ich, schliesslich darf ich den Instruktor im A 45 direkt vor mir nicht überholen. Herrlich unaufgeregt geht's rasend schnell zum Tempolimit, so dass ich mich einigen Sekunden später bei 130km/h frage, wann ich denn eigentlich beschleunigt habe? Zum Glück kommt da vorn eine Baustelle, in der ich nur 80km/h fahren darf, denn danach habe ich wieder die Chance zu beschleunigen um diesmal feststellen zu können, wie es denn so ist den SL in höheren Drehzahlen zu bewegen.
Noch während ich also mit der 80er Strafe leben muss, entschliesst sich der Herr im C 63 mich und den Instruktor zu überholen, da er zu seiner vorausfahrenden Gruppe aufschliessen muss. Der Sound des grossen V8-Saugers ist unüberhörbar, und regt mich weiter an, die auditiven Vorzüge des SL zu testen. Endlich ist die lang ersehnte weisse Tafel mit dem dicken schwarzen Balken da, und ich kann Vollgas geben. Der SL stürmt
nach vorne, die Elastizitätswerte sind brutal, und endlich habe ich AMG-Sound ungefiltert mit offenem Verdeck. Die Tafel neben der Autobahn sagt 170km bis Lugano, und mein Beifahrer und ich sind uns einig, die Route über den San Bernardino und durch das Tessin wären das richtige Terrain für diesen Roadster. Dieser Eindruck wird weiter manifestiert, als ich den SL die vergleichsweise enge Passstrasse in Richtung Lenzerheide hochfahre. Hier lässt sich aller elektronischer Helfer zum Trotz das Leergewicht von über zwei Tonnen (inkl. Fahrer und Beifahrer) nicht kaschieren.
An einem kleinen Rastplatz angekommen, gibt's den ersten Fahrer und Fahrzeugwechsel. Wir erhöhen das Gewicht auf leer 2'345 Kilogramm, den Schwerpunkt um einen gefühlten halben Meter und drosseln die Leistung und das Drehmoment auf 525 PS respektive 700Nm. Kurzum wir fahren ML 63, wie gesagt, eine Passstrasse hoch. Um ehrlich zu sein, sollte man sich als ML Fahrer mehr an der tadellosen Verarbeitung, dem üppigen Platzangebot und dem stylischen Design als den gebotenen Fahrleistungen erfreuen. Geradeaus mögen die schiere Leistung und das Drehmoment ausreichen um Fahrfreude zu vermitteln, aber dynamisches Kurvenfahren ist angesichts der indirekten Lenkung, des hohen Schwerpunkts und der damit verbundenen Wankneigungen der Karosserie nicht zu empfehlen. In jeder Kurve quietschen die 265/45 R 20 Reifen und auch beim Thema Bremsen lässt sich das Gewicht nicht kaschieren. Wer Platz für vier Personen sucht, aber nicht auf Leistung und Fahrspass verzichten möchte, der muss umsteigen, und zwar in unseren nächsten Kandidaten, den E 63 S AMG 4 MATIC.
Werte Familienväter, solche die es werden wollen, Hobby Transporter oder Bauhaus Freunde, dieser Wagen, speziell in der getesteten Kombiversion, ist die ultimative Alltagswaffe für Euch. Fast 600 PS, 800 Nm und Allradantrieb sorgen dafür, dass jederzeit die gebotene Leistung auf die Strasse gebracht wird. Wählhebel in D, und mit dem rechten Fuss dirigieren ob auf der Drehmomentwelle gesurft, oder infernalisch nach vorn gestürmt werden soll. Fahrwerk und Bremse sind bestens auf die gebotenen Leistungen angepasst. Klar, hinsichtlich Gewicht besteht Optimierungspotential, aber wenn Komfortoptionen wie Sitzheizung, Navi, Soundsystem etc. sein sollen, dann ist es mit dem Leichtgewicht ohnehin vorbei. Wer mich nun fragt, ob der Pampersbomber wirklich so gut läuft, dem sei folgende Geschichte erzählt. Die Bergstrecke von Lenz in Richtung Davos nahm Cindie Allemann, Rennfahrerin und Instruktorin der andern Gruppe denn auch gleich als Anlass in einem CLS 63 S AMG Shooting Brake (was quasi einem E63 mit anderer Karosserieform entspricht) einem Ferrari 458 Italia Fahrer zu zeigen, wer hier wem davon fährt, bzw. wer wem nicht davon fährt...
Die Pause auf einem Rastplatz nutzen wir für einen weiteren Fahrer- und
Fahrzeugwechsel. Wir steigen in das neueste und meiner Meinung nach
schönste AMG Derivat, das S 63 AMG Coupé. Wer ins S Coupé einsteigt ist
definitiv in der Automobilen First Class angekommen. 14 Luftkammern in den
Sitzen, wobei Sessel hier angebrachter wäre, sorgen für eine Massagefunktion, zwei 12.3 Zoll grosse Displays informieren über
Drehzahl, Tempo, Benzinvolumen, Kühlwassertemperatur, sowie Navigation,
Audio, oder TV. Alleine die Möglichkeiten, welche das
Entertainmentsystem bietet, reichen aus um einen Blog Eintrag zu
schreiben.
Auf unserer Testfahrt spielten wir etwas mit dem Nachtsichtmodus (weil wir das so nicht kannten) herum und nutzten die TV Funktion ausführlich. In 3.9 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 beschleunigen, für Grösse und Gewicht erstaunlich zügig durch Kurven fahren, um anschliessend bei der nächsten roten Ampel während einem der Rücken massiert wird, das Formel 1 Qualifying von Singapur weiterschauen, hat absolut seinen Reiz. Ob es wie Mercedes behauptet das beste Automobil der Welt ist, kann und will ich hier nicht beurteilen. Sicher ist, dass wer Luxus, Eleganz, und Sportlichkeit in einem sucht, um das S 63 AMG Coupé nicht herumkommt.
Wir steigen erneut um, in den einzigen Sauger im Feld, den C 63 AMG. Alleine das Starten dieses 6'208 Kubikzentimeter grossen V8 sorgt für Gänsehaut und Blicke rundherum, bellt er einen doch fast schon an. Einmal mehr stelle ich (wie übrigens auch fast alle Teilnehmer der Tour) fest, dass die 5.5-Liter-V8-Turbos in Punkto Sound nichts gegen den Sauger ausrichten können. Nach viermal Turboloch fahren, fällt das direkte Ansprechen des Saugers noch stärker auf. Vom Stand weg gleich Leistung ohne Gedenksekunde, untermalt von kernigem, fast schon NASCAR mässigem Sound, die bis anhin - und das sei schon vorweg genommen - auch bis zum Ende des Tages direkteste Lenkung, machen den C 63 zum sportlichsten Wagen welcher heute gefahren werden konnte. Der wahre Reiz des C 63 liegt jedoch darin, einen über sechs Liter grossen V8, der übrigens bis 7'000/min dreht, in wahlweise in einem Mittelklasse Coupé, Limousine oder Kombi zu fahren. Schaut man hier auf die direkte Konkurrenz (BMW M3/M4) oder den Nachfolger des C 63 AMG, so wird klar, dass das Thema downsizing auch hier Einzug hält, und ein solch grosser Saugmotor in einem so kleinen Auto definitiv aussterben wird. Ich will nicht sagen, dass aufgeladene Motoren nicht auch ihren Reiz hätten, doch derart grosse Sauger sind auf der emotionalen Ebene schlicht unerreicht. Wer also einen C 63 AMG besitzt, oder gedenkt einen zu kaufen, soll dies unbedingt tun bzw. diesen behalten.
Wir steigen vom grossen Sauger in den kleinen 2-Liter-Turbo des GLA 45 AMG um. 360 PS und 450 Nm machen ihn wie den A 45 und den CLA zum weltweit stärksten Serien-Vierzylinder. Die Idee eines etwas höher gelegten Kompaktwagen hat sich mir bis anhin noch nicht erschlossen, obwohl ich weiss dass hoch sitzen bei manchen Menschen eine Art "Überlegenheitsgefühl" auslöst. Doch im GLA ist nicht einmal das wirklich gegeben. Somit gibt es ausser der etwas besseren Rundumsicht, keinen Grund ihn einem A 45 AMG vorzuziehen. Dieser ist um ein vielfaches schöner, sportlicher, und erst noch etwas sparsamer. Dennoch macht der mit 181 PS pro Liter Hubraum hoch gezüchtete Kraftzwerg Spass zu Fahren. Obwohl das Turboloch nicht wegzudiskutieren ist, entschädigt der anschliessende Bums fürs warten auf die Leistung. Wer den GLA immer schön bei mindestens 3'000 Umdrehungen pro Minute hält, kann stets Gas geben und sich an dem gebotenen Vortrieb erfreuen.
Mein Beifahrer, selbst glücklicher Besitzer eines A 45 AMG, scheint dies zu wissen und pilotiert den kleinen Möchtegern SUV zügig um die Kurven. Mit der optional erhältlichen Sportauspuffanlage (zu erkennen am horizontalten Teilelement im Endschalldämpfer) schiesst der 45er beim hoch- und runterschalten sogar lauthals Salven von sich. Auf Dauer kann dies zwar nerven, doch mit der Fahrwerksabstimmung auf C wie Comfort gestellt wird die Prahlerei elektronisch unterdrückt. Alles in allem ist der GLA 45 AMG zwar ein nettes und alltagstaugliches Auto, doch seine Existenzberechtigung ist nur der extremen Nischenpolitik von Mercedes geschuldet.
Raus aus dem modernen Modellzwitter, rein in die Unvernunft, in den Wagen fürs Grobe, den G 63 AMG. Auch hier 5.5-Liter-V8 Biturbo, 544 PS und 760Nm. Platz nehmen im 230'000 Franken teuren, perfekt verarbeiten Offroader, welcher von aussen deutlich grösser scheint, als er innen tatsächlich ist. Subjektiv sitzt man um einiges höher als in einem ML, was wohl vor allem am klobigen Design des Wagens liegt.
Zündschlüssel gedreht, und der lauteste AMG im Feld meldet sich zum Dienst. Die Sidepipes beschallen Insassen und Fussgänger gleichermassen, und verlocken nebenbei jeden Teilnehmer zu präpubertärem Gasgeben im Stand. Die vergeblichen Versuche unseres Instruktors dies zu unterlassen sind denn auch wortwörtlich übertönt worden. Ohnehin lässt der G 63 AMG niemanden kalt, erst recht nicht seinen Fahrer. Der kommt von der indirekten Lenkung auf die nicht einmal von Morgan Freeman am Steuer seines Hudson Super Eight in Miss Daisy und ihr Chauffeur neidisch wäre, gehörig ins Schwitzen.
Wer jedoch bereits vor der ersten engen Kurve (in der man mit der schier endlosen Lenkübersetzung des G Bekanntschaft machen würde) zum Überholen ansetzt läuft erstens Gefahr beim Ausscheren in den vorausfahrenden Schleicher zu knallen, zweitens nicht rechtzeitig vor der herannahenden Wiese wieder zu korrigieren und drittens die Lücke zum Einscheren zu verpassen. Gottlob ist alles gut gegangen, die Taste mit der Sitzbelüftung schnell gefunden und Sinn und Zweck des Haltegriffs auf der Beifahrerseite ebenfalls geklärt.
Die G-Klasse mag das urbane Terrain etwa so wie ein Bentley die Rennstrecke. Wenn es denn sein muss geht's schon, aber eigentlich lieber nicht. Die G-Klasse will in den Wald, ins Gelände oder die Wüste, wurde sie doch 1979 für eben genau diesen Sinn und Zweck konzipiert. Am Autor dieses Artikels soll es den auch nicht gelegen haben dies zu testen, doch die Organisation der AMG Performance Tour sah dies anders.
Ein letztes Mal Fahrer- und Fahrzeugwechsel. Last but not least die S 63 AMG 4 MATIC Limousine in der Langversion. Diese ist im Vergleich zum Coupé noch stärker auf Luxus und Understatement getrimmt. Das Fahrwerk ist einiges weicher, und auch im Interieur ist die Limousine deutlich weniger sportlich als das Coupé (grösseres, unten nicht abgeflachtes Lenkrad, Sitze im Fauteuilstil, etc.). Der nebst der Karosserieform jedoch grösste Unterschied zwischen Coupé und Limousine, ist die Klangkulisse. Derselbe 5.5-Liter-V8 Turbo, der im Coupé für typischen AMG Sound sorgt, hört man in der Limousine nicht. Nicht einmal kaum, einfach nicht. Es scheint, als habe der S 63 AMG keinen Motor. Wer im Fond sitzt hört etwas mehr vom V8, doch ein bisschen an der Lautstärke des 9'660 Franken teuren Burmester High-End 3D-Surround-Soundsystems gedreht und schon lässt sich wieder eine fahrende Wellnessoase einrichten.
Wer nun denkt, dies sei ein Auto für alte Herren, der irrt sich. Vollkommen still, ohne Windgeräusche (doppelt verglaste Windschutzscheibe sei Dank) förmlich durch die Gegend zu gleiten und wenns sein muss richtig schnell zu sein (0-100km/h in 4.0 Sekunden) ist reizvoller als ich zu Beginn gedacht habe. Durch Alleen und Wälder zu fahren wird fast schon mystisch, doch das damit verbundene permanente Übertreten der Höchstgeschwindigkeit holt den Fahrer schnell wieder in die Realität zurück. Auch wenn Mercedes die S-Klasse das Beste Auto der Welt schimpft, ist es nicht fehlerfrei. Die trügerische Stille macht den Fahrer zum Tachostarrer, was auf Dauer ziemlich mühsam sein kann. Natürlich hat man nach einigen Jahren Autofahren die Geschwindigkeit im Gefühl, doch bei einer derart leichtgängigen elektromechanischen Lenkung, und dem vollständigen Wegfallen sämtlicher Geräusche fällt dies wesentlich schwerer aus. Obwohl schon deutlich schnellere Autos gefahren, bin ich überzeugt auf Dauer mit dem S 63 AMG die meisten Bussen einzufangen.
So endet die AMG Performance Tour wieder dort wo sie begonnen hat, bei der Garage Gut in Maienfeld. Die Frage, welches Modell wir denn nun an liebsten nach Hause nehmen würden, beantworten die meisten Teilnehmer mit dem C 63 AMG. Sportlichkeit, Sound, und das direkte Ansprechen setzt sich in der Mehrheit offenbar gegen die brachialen Turbos durch. Persönlich gehe hier nur bedingt mit dem Strom. Zwar entscheide ich mich auch für den C 63, jedoch habe ich die 20 PS Mehrleistung gegenüber dem "normalen" Coupé welches ich im Herbst 2013 gefahren bin, kaum gemerkt. Vielmehr würde ich zur noch stärker auf Sportlichkeit ausgelegten Black Series Version greifen. Die steht denn auch in wunderschönem matt grau im Showroom und möchte trotz bereits 15'000 gefahrenen Kilometern immer noch für über 140'000 Franken einen neuen Besitzer finden.
Ganz ohne AMG verlasse ich das Terrain, und ihr werte Leser, diesen Blog aber nicht. Wer wie ich vom AMG Sound angefressen ist, der möge sich die AMG Sound Room App für iPhone oder für Android herunterladen, Köpfhörer einstecken und mit dem Träumen beginnen.
31.10.2014
Text: Tom's Car Blog
Bilder: Tom's Car Blog