Voll auf die Zehn - Audi R8 Spyder


Man nehme einen V10 Saugmotor mit 540 Pferdestärken und ebenso vielen Newtonmetern Drehmoment, verpacke diese in ein Sportwagenkleid und ersetze das Dach durch eine Stoffmütze, fertig ist der R8 Spyder. Um dem Ingolstädter den adäquaten Auslauf zu gönnen sind wir für einmal nicht in der auf maximal 120km/h beschränkten (L)Eidgenossenschaft geblieben, sondern gaben uns auch die richtige Autobahn, da wo der V10 sein ganzes Leistungsvermögen zum Besten geben kann.

Eingeladen von Cathybells beginnt der Tag beim ausgiebigen Frühstück im Fünfstern Hotel Althoff Rottach Egern in Bayern, rund eine Stunde südöstlich von München. Der herrliche Ausblick auf den Tegernsee wird heute früh nur von einem schwarze Audi R8 Spyder gestört, welcher für den Rest des Tages nicht mehr so relaxed in der Sonne parken wird.



Schon im Stand macht der R8 mit seinem kantigen Design eine gute Figur, auch wenn diese deutlich weicher als ausfällt als beim Schwestermodell, dem Lamborghini Huracán. Die schwarzen 20 Zöller stehen dem R8 Spyder ebenso gut wie roten Nähte im Cockpit. Doch der Vergleich mit dem Huracán sollte auch mich durch den Tag begleiten. Sind die 222'000 Franken Basispreis für einen R8 Spyder nicht zu hoch wenn der Lamborghini mit seinen 70 PS mehr für ebenso viele Tausender Aufpreis zu haben ist?

Wie dem auch immer sei, heute ist schliesslich ein Freudentag, also Dach auf und die schwarze Flunder zum Leben erweckt. Bereits das leise Surren des Anlassers gefolgt von der Explosion wenn der 5.2-Liter-V10 erwacht, könnte ich unendlich wiederholen. Überhaupt ist der auditive Auftritt des R8 seine grösste Stärke. Gefragt welche Motorbau / Zylinderanordnung den besten Sound hervorbringt werden die V10 nicht umsonst am häufigsten genannt, oder lässt hier irgendeinen Leser den Sound eines Lexus LFA, eines Carrera GT oder auch eines M6 (e63) kalt?

Entlang des Tegernsees führt eine wunderbare Küstenstrasse die sich bestens eignet den Zehnzylinder warm zu fahren. Überhaupt fällt sofort auf wie direkt die Gasannahme im R8 ausfällt. Vielleicht liegt es an Audi's Driveselect welches ich auf dynamic gestellt habe (auto, comfort und individual wären auch möglich), vielleicht auch an der Tatsache, dass heutzutage Saugmotoren immer seltener werden und fast schon in Vergessenheit gerät wie verzögerungsfrei so ein Sauger anspricht. Das rund 12 Zoll grosse Display im Cockpit hält mich denn auch stets über die Öl- und Getriebetemperatur sowie momentan abgerufene Leistung und Drehmoment informiert.

Nach einigen Kilometern ist sind denn auch die geforderten Temperaturen erreicht, die Sportabgasanlage mit ihren schwarzen Blenden schiesst und knallt mittlerweile auch beim Gas wegnehmen und die Seestrasse ist längst hinter uns, wir sind auf die Landstrasse abgebogen. Mit der zunehmend schnelleren Fahrt fällt die Dynamiklenkung welche für den R8 optional erhältlich ist auf. In Städten und bei langsamerer Fahrt ist sie sehr leichtgängig, auf der Landstrasse oder der Autobahn wird ihr Übersetzungsverhältnis kleiner, was der Präzision zu Gute kommt.

Überhaupt kaschiert der R8 Spyder seine 1'720 Kilogramm Leergewicht erstaunlich gut, was zum einen an der besagten Dynamiklenkung und zum andern an der Mittelmotorbauweise liegen dürfte. Lediglich beim scharfen Einlenken in enge Kehren merkt man dann schon, welche Masse bewegt sein will. Hier hilft ihm jedoch beim Herausbeschleunigen der Allradantrieb, welcher gegenüber dem Vorgänger noch sportlicher ausgelegt wurde. Der R8 schickt neu wenns sein muss (und ja das muss es) alles nach Hinten. Dennoch soll festgehalten sein, dass ich am heutigen Tag nicht einmal irgendwelche Traktionsprobleme festgestellt habe. Egal wie du den R8 auf öffentlichen Strassen plagst, er findet stets Grip.



Schliesslich sind wir in den Bayrischen Bergen angekommen, dem besten Terrain für einen offenen Mittelmotorsportwagen. Begleitet vom Sound des V10, der unterhalb der 4'000 Touren eher dumpf grollt, danach bis etwa 6'500 hörbar lauter brüllt und dann schliesslich auf den letzten 2000 Umdrehungen richtiggehend kreischt, vernichte ich Kilometer um Kilometer auf der Hauptstrasse 11 von Bichl, vorbei am Kochel-, Walchen-, und Sylvensteinsee bis hoch zum Achensee in Österreich.

Das Zusammenspiel des hochdrehenden Saugers mit Audis Siebengang S Tronic Doppelkupplungsgetriebe kommt auf solchen Bergstrassen am besten zum Tragen. Immer wieder kommen Spitzkehren, also 2 mal am linken Schaltpaddel ziehen, die Salven des automatischen Zwischengas geniessen, einlenken und am Scheitelpunkt wieder voll auf den Pinsel treten. Mühelos dreht das 5.2 Liter Aggregat bis zum Begrenzer bei 8700/min hoch, um blitzschnell den nächsten der sieben Gänge eingelegt zu bekommen. Wer den Scheitelpunkt so richtig "al dente" nimmt, den belohnt der R8 Spyder mit einem schönen Schlenker mit dem Heck. An einem schönen Frühlingstag mit einem V10 auf 100 Kilometern durch den Wald dieses Spielchen noch und nöcher durchexerzieren, Petrolhead was willst du mehr?


Doch mit dieser Flunder durch den Wald heizen als wäre man Crocodile Dundee führt unweigerlich zu Hunger, also eingekehrt zu Bayrischen und Österreichischen Schmakerl. Bei Haxn und Kaiserschmarrn lässt sich herrlich über die Designänderungen gegenüber dem Vorgänger diskutieren. Der neue R8 Spyder ist deutlich sportlicher und auch eckiger gezeichnet und wirkt somit muskulöser als die erste Generation. Die 14 Millimeter die er beim Generationenwechsel geschrumpft ist sind kaum zu sehen, ganz im Gegenteil zu den 36 Millimetern Zuwachs in der Breite. Die Sideblades welche mir beim Vorgänger nie sonderlich gefallen haben, sind beim neuen Modell deutlich besser integriert und auch das ganze Heck sieht meiner Meinung nach nun deutlich besser aus als beim Vorgänger. Einzig die Front überzeugt mich nicht ganz. Vor allem von der Seite betrachtet ist der vordere Überhang viel zu voluminös ausgefallen.


Doch wir wollen ja fahren und nicht plaudern, also rein in den Ingolstädter, und ab in Richtung A96, schliesslich wollen wir dem R8 auch noch ein bisschen Highspeed Auslauf gönnen. Wer den Pinsel voll durchtritt, erreicht aus dem Stand nach 3.6 Sekunden Tempo 100, und nach 11.8 Sekunden 200 km/h. Wie lange es dauert für Tempo 300 hab ich zwar nicht gemessen, aber selbstverständlich ausprobiert wie nachfolgendes Video zeigt. Wer noch mehr gerade Autobahn findet kann im R8 Spyder 316 km/h erreichen.



Trotz seines Leistungsvermögens ist der R8 Spyder nicht das ideale Gefährt für lange Autobahnfahrten mit Durchschnittstempi jenseits der 200km/h. Er beherrscht das zwar auch, doch für das Kilometerfressen gibt es bessere Kandidaten. Der hochdrehende V10 und das straffe Fahrwerk (was man ja eben bei den Passstrassen so mag) sind hier nicht aller erste Wahl. 

Und so bleibt am Ende die Frage, ob man sich einen R8 Spyder in die Garage stellen sollte. Eine Antwort zu finden ist letztlich nicht so einfach, denn er bietet sehr viel, und auch viel seltenes. V10, Sauger, Mittelmotor, Spyder. Alles Attribute "die kauf mich" sagen. Doch für einen gut ausgestatteten R8 Spyder sind denn auch schnell eine Viertelmillion Franken zu überweisen, und für das Geld bauen andere Hersteller wie Ferrari (California T), McLaren (570S Spyder), Porsche (911 Turbo Cabrio) oder AMG (GT C Roadster) tolle Alternativen. Wer zum gerade neulich vorgestellten R8 Spyder V10 Plus (610 PS) greift der wird wohl inkl. Ausstattung eher gegen die 300'000 Franken kommen. Und da gibt's dann mit dem 488 GTB Spyder von Ferrari, dem Huracán Spyder von Lamborghini und dem 650S Spyder von McLaren ebenfalls bemerkenswerte Alternativen. So bleibt letztlich die Frage, ob diese Alternativen nicht den grösseren Reiz haben. Eine Frage die jeder selber beantworten muss.

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27.07.2017

Text: Tom's Car Blog
Bilder: Tom's Car Blog

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